«Fast die ganze Welt zu sehen, war ein Geschenk!»

    Regula Eichenberger war 1983 die erste Linienpilotin der Schweiz und flog 33 Jahre lang. Der Beruf ist noch immer fest in Männerhand. Soeben ist ihre Autobiografie «Über den Wolken – mein Leben zwischen Himmel und Erde» erschienen. Es ist die Lebensgeschichte einer starken Frau, die vielen anderen Frauen Türen geöffnet hat. Wir sprachen mit der 67-jährigen Pionierin der Lüfte.

    (Bilder: Privatarchiv Regula Eichenberger) Regula Eichenberger ist die erste Linienpilotin der Schweiz: In ihrem Logbuch finden sich 22’830 Flugstunden und 19’444 Starts und Landungen.

    Soeben ist Ihr Buch respektive Ihre Autobiographie «Über den Wolken» erschienen. Was hat Sie bewogen dieses Buch zu schreiben?
    Regula Eichenberger: Mein ehemaliger Chef bei der Belair, Thomas Frischknecht, drängte mich seit Jahren ein Buch zu schreiben. Als mein Vater im September 2020 verstarb, fand ich es schade, dass all seine tollen Geschichten für immer verstummten. Diese Tatsache war wohl die Motivation, die ich noch brauchte.

    Was bedeutet Ihnen persönlich dieses Buch?
    Schwierig zu sagen. Am Anfang wenig. Ich wusste ja auch nicht, ob das Projekt jemals flügge wird. Wenn ich jetzt mein Buch in den Händen halte, entwickeln sich viele unterschiedliche Emotionen. (Freude aber auch Trauer, dass mein verstorbener Mann das Buch nicht mehr sieht.) Ein Buch zu schreiben war eine ganz neue Erfahrung und gleichzeitig auch eine – «Vergangenheitsbewältigung». Eine durchaus positive Sache! Mit dem Schreiben kamen lang vergessene Geschichten wieder hervor. Zudem habe ich während der Entstehung des Buches viele tolle Menschen kennengelernt.

    Wenn Sie auf Ihre Karriere als erste Linienpilotin der Schweiz zurückschauen. Was sind die prägendsten Erinnerungen?
    Verschiedene Flugzeugtypen und Menschen kennenlernen zu dürfen. Der Zusammenhalt in der Crew war sehr oft grandios. Und fast die ganze Welt sehen zu können, war ein Geschenk. Ich hatte ein höchst aufregendes Berufsleben, das auch mein privates Leben bereicherte.

    Sie sind seit 2015 in Pension. Vermissen Sie das Fliegen?
    Die Linienfliegerei habe ich keinen Tag vermisst. Seit einem Jahr fliege ich auch keine Kleinflugzeuge mehr. Ich vermisse manchmal, dass ich daher auch privat keinen Steuerknüppel mehr in der Hand habe. Zum Glück habe ich Freunde, mit welchen ich ab und zu in die Luft komme.

    Wieso sind Sie Pilotin geworden und wie war Ihr Werdegang?
    Mein Vater betrieb den Flugplatz Buttwil. Er war Berufspilot und Fluglehrer. Für mich war immer schon klar, dass ich es ihm eines Tages gleichtun würde. Also wurde ich auch Berufspilotin und Fluglehrerin. Dann entdeckte mich Moritz Suter, der Gründer der Crossair, und wollte mich zur ersten Linienpilotin der Schweiz machen. Ich sagte nicht nein. Später wechselte ich erst zur TEA, dann zur Balair und Belair.

    Der 25. März 1983 war der Tag ihres ersten Linienflugs als Copilotin. Moritz Suter, der Crossair 1978 gegründet hatte, verband den ersten Flug einer Linienpilotin mit der Eröffnung der Crossair-Fluglinie Bern-Lugano.

    Sie haben als erste Frau in der Schweiz ein Linienflugzeug geflogen. Wie war die Reaktion (der Männerwelt) auf Sie als Pilotin?
    Unterschiedlich. Die einen reagierten sehr nett und charmant, die anderen extrem skeptisch und ablehnend.

    Was braucht es, um eine gute Pilotin zu werden?
    Vieles. Um eine Pilotin zu werden, braucht es ein medizinisches Attest, wer das nicht erhält, hat keine Chance. Und um eine gute Pilotin zu werden, braucht es fliegerisches Können und Durchhaltewillen. Aber auch Teamgeist und Empathie.

    Erinnern Sie sich an Ihren ersten Alleinflug?
    Ja, jeder Pilot erinnert sich an den ersten Alleinflug. Diesen Moment vergisst keiner, es gibt ihn ja auch nur einmal im Leben. Meiner startete auf dem Flugplatz meines Vaters, in Buttwil – ohne Funk, niemand hätte mehr eingreifen können.

    Wieso gab es damals keine Frauen im Cockpit?
    Wieso hatten Frauen früher kein Stimm- und Wahlrecht, warum durften sie nicht studieren, oder ins Militär oder in die Swissair? Das war die damalige Gesellschaft – eine sagenhafte Verschwendung von Ressourcen.

    Heute sind es weniger als 5 Prozent Pilotinnen bei der Swiss, weltweit sieht es anders aus. Haben Sie eine Ahnung, warum der Frauenanteil noch immer so klein ist?
    Nein. Ich vermute, dass viele Frauen einen weniger technischen Beruf ausüben wollen, weil sie sich einen technischen Beruf nicht zutrauen.

    Sie waren viel unterwegs. Ist dies ein Leben, das sich mit Familie verträgt? Oder ist das der Grund, warum bis heute wenig Frauen im Cockpit anzutreffen sind?
    Das glaube ich nicht, denn der Beruf Pilot ist perfekt geeignet für Jobsharing oder Teilzeit, weil es nach dem Flug keine Pendenzen mehr gibt. Aber man muss bereit sein, immer wieder mal abends und auch an Wochenenden zu arbeiten oder für ein paar Tage nicht zu Hause zu sein.

    Ist es heute einfacher für junge Frauen Pilotin zu werden?
    Ja. Es gibt keine Schranken mehr, ausser dass den Mädchen zu wenig aufgezeigt wird, dass technische Berufe auch für sie von Interesse sein können.

    Sind Sie privat noch im Cockpit anzutreffen?
    Wie schon gesagt, ich habe die Fliegerei aufgegeben, auch privat – hebe aber ab und zu noch im Cockpit eines Kleinflugzeuges ab, wenn mich befreundete Piloten einladen.

    Interview: Corinne Remund


    Über den Wolken
    Mein Leben zwischen Himmel und Erde

    Regula Eichenberger wollte fliegen. Unbedingt. Immer schon. Und als ihre zwei Jahre ältere Schwester den Privatpilotenschein machte, lernte sie einfach mit. So bestand sie – ohne je einen Kurs besucht zu haben – mit noch nicht einmal siebzehn Jahren die Theorieprüfung. Acht Jahre später begann die Tochter eines Fluglehrers dann, anderen beizubringen, wie man in die Luft geht und dort auch bleibt. Im Jahr 1983 bewies Moritz Suter, der Gründer der Crossair, sein Marketingtalent und setzte Regula Eichenberger als erste Schweizer Linienpilotin ein. Ihren ersten Flug startete sie – als Copilotin – in Bern-Belp mit dem Ziel Lugano-Agno. Das Medieninteresse war – weit über die Landesgrenzen hinaus – riesig. Und so öffnete Regula Eichenberger Frauen die Tür in eine Welt, die bis anhin von Männern dominiert wurde. In ihrer Autobiografie lesen wir von Halbgöttern in Uniform und kalten Füssen im Cockpit, davon, dass man sich in ein Flugzeug verlieben kann, und von Situationen, die so brenzlig werden können, dass es Nerven aus Stahl braucht. Die Autorin erzählt von wunderbarer, manchmal aber auch sehr harziger Teamarbeit und davon, wie sie – bereits pensioniert – ein schwerer Schicksalsschlag getroffen und in eine Abwärtsspirale gezogen hat, aus der sie ohne die in der Fliegerei erlernten und verinnerlichten Notfallstrategien kaum herausgefunden hätte. Das Buch von Regula Eichenberger ist im Wörterseh Verlag erschienen.

    www.woerterseh.ch

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